K L I M A & U M W E L T F R A N S T I M M E R M A N S Grüne Zukunft EU-Kommissar Frans Timmermans spricht über die Vision eines nachhaltigen Europas. I N T E R V I E W H E L E N S I B U M A HHerr Timmermans, welche Auswirkung hat die P O R U E Corona-Pandemie auf den Green Deal? Covid19 hat uns gezeigt, wie verletzbar wir sind. Die Krise hat uns auch vor Augen geführt, wie wichtig uns unsere Gesundheit ist. Aber während wir nun diese unmittelbare Gefahr bekämpfen, schwelen die Klima und Biodiversitätskrisen wei ter. Auch sie sind sehr real. Auch sie wirken sich direkt auf unsere Gesundheit und unser Wohl ergehen aus. Mir ist es wichtig zu betonen, dass der Green Deal kein Luxus für die Reichen ist. Er ist unabdingbar für alle Menschen. Falls wir dem nächst Milliarden Euro freigeben, um unsere Wirtschaften zu stützen und Menschen zu helfen, ihre Arbeit wiederaufzunehmen, dann sollten wir das Geld überlegt ausgeben. Wirtschaftsvertreter wenden ein, dass sie aufgrund der Wirtschaftskrise die immer strengeren Umweltstandards nicht werden einhalten können. Ich antworte ihnen, dass sie früher oder später diese neue Realität akzeptieren müssen. Vielleicht können sie Investitionen oder Transformations maßnahmen noch ein paar Jahre länger aufschie ben, aber irgendwann wird die Realität sie einho len. Selbst ohne den Green Deal war der Wandel ja bereits im Gang. Denn alles verändert sich gerade. Wir befinden uns mitten in der vierten in- dustriellen Revolution – die Art, wie wir leben, 3 6 I 3 7 arbeiten, konsumieren, wegwerfen: Alles ist im Fluss. Covid-19 und die darauf folgende Wirt- schaftskrise werden uns nun zwingen, viel, viel schneller Schritte in Richtung Investitionen und Transformation zu gehen. Wir können den Kopf in den Sand stecken und hoffen, dass alles so bleibt, wie es immer war. Aber das wird es nicht. Also entweder nehmen wir unser Schicksal selbst in die Hand, oder wir ergeben uns ihm. Glauben Sie, dass durch die Corona-Krise in der EU wieder ein stärkeres Gefühl von Zusam- menhalt entstanden ist – auch was Klimaschutz angeht? Ich kann nachvollziehen, dass die erste Reaktion einiger Mitgliedstaaten eine nationale war, auch weil einige das Gefühl hatten, die EU als Ganzes bewege sich nicht schnell genug. Letztendlich ver stehen die EUMitgliedstaaten, dass wir diesen Kampf nur gewinnen können, indem wir zusam menarbeiten. Das gilt für viele andere Heraus forderungen auch. Der Kampf gegen die Klima und Biodiversitätskrise, im Interesse der Gesund heit und des Wohlergehens unserer Bürger, er könnte zur neuen Raison d’Être der EU werden. Werden ökologische Aspekte im „Next Generation EU“-Hilfspaket der EU ausreichend berücksich- tigt? Ja. Ich bin sehr zufrieden, dass grüne Themen sub- stanziell in unserem großen Wiederaufbaupaket „Next Generation EU“ verankert sind. Wenn die Mitgliedstaaten ihre nationalen Pläne präsentie- ren, dann wird der ökologische Wandel – ebenso wie die Digitalisierung – ein wichtiger Teil sein. Das wollten die europäischen Regierungschefs, und das haben wir ausgearbeitet. Und so muss es auch sein, denn wir müssen zwingend eine grüne, inklusive und widerstandsfähige Wirtschaft auf- bauen. Wenn wir es jetzt richtig anstellen, dann wird Europa ein Vorreiter im Umgang mit all die- sen Bereichen sein: dem Klima, Luft und Wasser sauber zu halten, mehr nachhaltige Lebensmittel zu produzieren, unseren öffentlichen und privaten Verkehr zu elektrifizieren sowie auf eine CO2-freie Wirtschaft hinzusteuern. Was erwarten Sie von der deutschen EU-Rats- präsidentschaft? Meine Erwartungen sind sehr hoch. Deutschland ist ein besonderes europäisches Land. Es hat wie- der und wieder gezeigt, dass es über sich selbst hinauswachsen kann, nicht nur in Bezug auf seine starke Industrie, sondern auch im Hinblick auf moralische und politische Stärke. Es ist ein Land, das entschieden hat, dass sein nationales Interesse mit dem kollektiven EU-Interesse verbunden ist. Ich hoffe auch, dass Corona uns gelehrt hat, das, wenn wir in dieser Union zusammenkommen, es fast nichts gibt, was wir nicht erreichen können. Gemeinsam.