I N T E R V I E W Y U L I Y А K O S Y А K O V А Der Staat kann Zusammenhalt nicht vorgeben, aber sein Handeln hat Signalwirkung. Sind die geplanten Änderungen im Staatsbürger- schaftsrecht ein solches Signal? Dass die Einbürgerung erleichtert und beschleunigt werden soll, ist auf jeden Fall ein positives Zeichen. Denn wir möchten ja, dass die Fachkräfte nicht nur kommen, sondern auch bleiben. Einbürgerung gilt als das höchste Privi leg, das ein Staat vergeben kann, weil man dadurch Mitglied der Gesellschaft wird, mit allen Rechten und Pflichten. Trotzdem ist der Anteil der Fach- kräfte unter den Eingebürgerten bislang gering – könnten die Reformen daran etwas ändern? YULIYА KOSYАKOVА leitet den Forschungsbereich Migra- tion, Integration und internationale Ar- beitsmarktforschung am Institut für Arbeits markt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg. Das IAB ist die For- schungseinrichtung der Bundesagen- tur für Arbeit (BA). Zudem ist Kosyakova Professorin für Migrationsforschung an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Die Soziologin stammt aus der Ukraine, vor mehr als 20 Jahren kam sie als jüdischer Kontingentflüchtling nach Deutschland. quantitativ bisher keine Wirkun gen gezeigt haben. Im Gegenteil, während der Pandemie ist die Einwanderung zu Erwerbszwe cken eingebrochen. Wir müssen noch abwarten, wie sich die Zah len danach entwickelt haben. Wie ordnen Sie das neue FEG ein? Das neue Gesetz enthält viele kleine Änderungen und einige große. Zu den kleinen gehört, dass die Einkommensgrenzen für die Blaue Karte EU – das ist der Zuzugsweg für Hochquali fizierte aus dem Nicht-EU-Aus land – auf ein realistisches Maß gesenkt wurden. Außerdem sind Erleichterungen beim Fa miliennachzug geplant. Diese soziale Komponente ist sehr wichtig für die Gewinnung von Fachkräften, aber auch für ihre Bleibe absichten. All dies ist sinnvoll, bewegt sich aber im geltenden Rahmen. Neu ist dagegen, dass auf die Gleich wertigkeitsprüfung verzichtet werden kann, wenn eine Mindestgehalts schwelle überschritten wird. Allerdings sind diese Gehalts schwellen – abgesehen von denen für die Blaue Karte – noch zu hoch. Dass man in Deutschland sofort ein sehr hohes Gehalt bekommt, ist unwahrscheinlich. Eines der innovativsten Elemente des FEG ist aus meiner Sicht die Chancenkarte. Wer über im Ausland anerkannte Berufs- oder Hochschulabschlüsse verfügt, kann für bis zu zwölf Monate nach Deutschland einreisen, um einen Arbeitsplatz zu su chen, wenn er in Kategorien wie Berufserfahrung und Sprachkenntnisse genug Punkte erreicht. Wie bewerten Sie diese Änderungen? Das denke ich schon. Die Forschung zeigt, dass es vor allem zwei Dinge sind, die die Einbürgerung für Fachkräfte noch at traktiver machen würden: eine kürzere Verfahrensdauer und die Möglichkeit der doppelten Staatsbürgerschaft. Beides sehen die Änderungspläne vor: Statt nach acht Jahren soll die Einbürgerung schon nach fünf Jahren möglich sein, in be sonderen Fällen nach drei Jahren. Die Mehrstaatlichkeit soll grundsätzlich akzeptiert werden. Die Wahrscheinlichkeit der Einbürgerung – auch von Fachkräften – steigt damit deutlich. Welche Rolle spielt die Einbürgerung bei der Integration? Einbürgerung ist ein Katalysator für Integration, das ist inzwi schen wissenschaftlich belegt. Eingebürgerte Zuwanderinnen und Zuwanderer haben bessere Sprachkenntnisse, eine höhe re Bildung, mehr soziale Kontakte und sie sind auch politisch stärker integriert. Im Juli 2023 wurde das neue Fachkräfte ein- wanderungs gesetz (FEG) beschlossen, bereits 2020 hatte es eine Reform gegeben. Wie würden Sie die Entwicklungen der vergangenen Jahre einordnen? Mit der Reform 2020 gab es keinen grundlegenden Wechsel des Rechtssystems, etwa durch eine Hinwendung zu einer Punkteregelung. Das System wurde etwas stärker geöffnet, in dem Personen mit nicht akademischen Abschlüssen Personen mit Hochschulabschluss gleichgestellt wurden. Zudem wurden Möglichkeiten geschaffen, zur Anerkennung von beruflichen Abschlüssen einzureisen. All dies waren kleine Reformen, die Sie gehen in die richtige Richtung. Es gibt verschiedene neue Zugangsmöglichkeiten und die bestehenden werden erleichtert. Ganz wichtig ist, dass das neue Gesetz nicht mehr so stark auf die Anerkennung des Abschlusses in Deutschland setzt. Häufig konnte die Anerkennung aus dem Ausland überhaupt nicht um gesetzt werden oder die Abschlüsse wurden nicht vollständig anerkannt und die Fachkräfte mussten Zusatzqualifikationen erwerben, was die Verfahren in die Länge zog oder ganz schei tern ließ. Die Hürden sinken also, im Detail sind sie aber noch hoch. Auch muss sich erst zeigen, ob die Vielzahl der Regelun gen im Ausland verstanden wird – denn das ist dringend nötig, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. 31